Donnerstag, 28. Oktober 2010

Laaaangweilig

Boh ist mir langweilig. Heute habe ich einen Pausentag eingelegt, damit Pat und Birgit wieder aufschliessen und wir gemeinsam in Santiago ankommen koennen. Eigentlich war die Planung, den Tag gemeinsam mit David zu verschlonzen, aber der hatte dann heute morgen doch mehr Wanderlust als am Vorabend geahnt. Also sitze ich jetzt seit Stunden vor der Albuerge bzw. vor dem Computer, der gerade - anscheinend in muehevoller Handarbeit - versucht, die Fotos von meinem Handy in ein oeffentliches Album zu haekeln, damit auch Ihr Freude an den Bildern habt.

Ob das heute noch was wird, kann ich allerdings beim besten Willen nicht sagen. Der braucht ungefaehr zehn Minuten pro Foto. Wenn er gut drauf ist.

Also, Langeweile. Jeden Tag mehr oder weniger in Gesellschaft laufen und sich koerperlich zu betaetigen, hat doch auch etwas Befriedigendes. Jetzt untaetig herumsitzen, zwar wissend, dass ich die Zeit auch damit nutzen koennte, in der Stadt in der Sonne einen Kaffee nach dem anderen zu trinken und traege den vorbeipilgernden Massen zu huldigen, erscheint mir etwas unbefriedigend. Das ist wahrscheinlich fast wie arbeitslos sein. Ich trau mich gar nicht, irgendetwas zu essen, weil ich zum einen gar kein Hunger habe, und zum anderen heute doch noch gar nix getan habe, was hungrig machen oder gar Kalorien verbrennen koennte. Vielleicht sollte ich ein wenig im Kreis ueber die zwei Bruecken joggen, auf die ich von dieser Albuerge aus gucke.

Gaehn. Malnichtuebertreibenjetzt.

Eine echte Fiesta? Siesta? Na, wie auch immer. Pause halt. Und es sind immer noch knapp zweihundert Fotos nach, die hochgeladen sein wollen. Drecklahmes Ding hier.

Die letzten Tage waren uebrigens recht angenehm. Die Wanderungen gingen durch schoene, etwas unspektakulaere, weil irgendwie nach Hessen anmutende Landschaft von Tricastela  nach Sarria, wo wir, gemeinsam mit Chile und zwei Spanierinnen das Hostel bezogen, in dem es am Abend in einem Kaminzimmer eine Schnapsverkostung gab. Das Ergebnis war sehr unterschiedlich. Ich wuerde sagen, Deutschland lag in Haltung, Verfassung und Morgendanach deutlich auf Platz eins, auch wenn Rolf, der Radwanderer  im Brand seiner Tochter eine SMS schickte, dass sie Fluege suchen und nach Santiago kommen solle, die waeren hier alle nett und wollen sie  kennenlernen und Papa wuerde zahlen. Daher koennte Deutschland 2 wegen der Folgekosten noch im Rang abrutschen. Spanien hielt sich gut, zeigte aber  am Ende der Verkostung leichte Laengen und beendete den Abend mehrfach. Erst sich zu Bette verabschieden und dann noch zweimal auf "einen letzten" wiederkommen. Chile war onthejob noch aufrecht, in der Waagerechten dann aber deutlich der Lauteste von allen (Himmel, soo habe ich hier noch niemanden schnarchen hoeren, und ich bin immerhin mit Stefan hier runtergekommen) und hatte am naechsten Morgen den groessten Kopf und gem. den Angaben der Wanderpartnerin den ganzen Tag nicht gesprochen. Chile hat also verloren.

Soll keiner sagen, dass es hier keinen Wettbewerbsgedanken gibt auf dem Camino.

Von Sarria freute ich mich dann wieder weiter mit David hierher nach Portomarin, wo ich mich dann gestern Abend von der sehr angenehmen Spanienchiletruppe verabschiedet habe. Ich denke aber mal, dass ich sowieso einen Grossteil der Wandergruppen in Santiago oder Finisterra wiedertreffe. Ebenso wie den Abtruennigen, der wahrscheinlich einfach nur keine Lust hat, mit drei Weibern zu laufen. Kann ich ja auch irgendwie verstehen.

Und langsam naht das Ende. Eigentlich ist es echt schwer zu erklaeren, was hier mit einem passiert. Zwischendurch habe ich oft, besonders in Gedanken an die Arbeit zu Hause, gedacht: Biste eigentlich bescheuert? Was soll das eigentlich, hier 800 Kilometer durch Spanien zu laufen? Sagenhaft bloed, wuerde ich mal sagen. Den ganzen Tag nur aufstehen, anziehen, laufen, laufen, laufen, essen, laufen, laufen, laufen, duschen, essen, Waesche waschen, sich die ganze Zeit nur mit den Wahnsinnsfragen beschaeftigen "Gibts da n Trockner? Bettwanzen vs. Haengematratzen, Siffherberge, Verwahranstalt oder Herzlichkeit pur? Muss das morgens so kalt sein? Gibts da ne Heizung? Kocht jemand oder muss ich so ein bloedes Pilgermenue essen? Schnarcht der? Schon wieder bergab? Haelt der Fuss das diesmal aus (er haelt, bis jetzt...)? Wo ist eigentlich mein Shampoo? Hatte der Hund, mit dem ich eben gespielt habe eigentlich Floehe? Wieso muss der schon wieder pinkeln und ich nie? Wieso ist derdiedas da vorne mit einem Mal, der sollte drei Tage hinter mir sein? Wieso habe ich eigentlich fast immer gute Laune?

Ganz ehrlich, ich weiss es nicht. Alles nicht. Und sicher viel mehr dahinter und davor auch nicht. Ich weiss, dass ich mir wieder etwas naeher gekommen bin und einen Schritt weg von dem stetig Rationalisierenden und immer Toughen. Ich habe hier tolle Gespraeche gefuehrt, die ich nicht naeher ausfuehren brauche, aber ich habe mit vielen Menschen hier auf dem Weg zusammen gelacht, mit einigen zusammen geweint, und ich hoffe sehr, dass ich bis zum Ende der naechsten Woche noch einzwei gute Augenblicke mit den anderen haben werde.

Der Camino bringt  Leute allein dadurch, dass man in eine Richtung laeuft dazu, vertrauensvoller und offener auf andere Menschen zuzugehen. Unabhaengig von Kultur, Alter und Gestalt. Irgendwie sind alle gleich. Lustig soweit.

Jeder achtet auf jeden, es herrscht auf dem ganzen Weg eine unaufdringliche Fuersorge und Hilfsbereitschaft, die anzunehmen und zu geben erstaunlicherweise ziemlich leicht ist. Es wird bereitwillig geteilt. Sowohl das was man hat, als auch die Zeit.

Es gibt Menschen, die man sofort einpacken und mit nach Hause nehmen moechte und Menschen, die man gerne einen Abend sieht, aber sich ansonsten lieber aus dem Weg geht, weil die Chemie eben nicht bei jedem stimmen kann. Und die Englischkenntnisse verbessern sich staendig (nein, kein Businessenglisch :))  ).

Ich bin sehr gespannt, was ich in das "wahre" Leben mit rueberretten kann.

1 Kommentar:

  1. Hi Bine,
    kann mir vorstellen, dass einem Allerhand durch den Kopf wandert beim Wandern ;)
    Aber was man bisher von dir so gelesen hat war ja alles Positiv. Daher freut es mich jedesmal von deiner Reise zu lesen.
    Apropos Bettwanzen, da kann ich bei deiner Rückkehr auch eine schöne Story zum Besten geben ;)
    Liebe Grüße
    Sandra

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